Neues Rheinland
Reportagen und Berichte, April 2001



Der größte Bunker der Welt
Andreas Magdanz´ Fotos der „Dienststelle Marienthal“ in den „Alten Rotation“

Von Klaus Jacobi

Eigentlich hatte sich das gute Dutzend Journalisten, das irgendwann um 1970 als Reservisten an einer WINTEX-NATO-Übung teilnahm, bei seiner Ehre verpflichtet, nie ein Wort über den Besuch in der „Dienststelle Marienthal“ bei Dernau an der Ahr zu sagen, geschweige denn zu schreiben.
Die meisten NATO-Übungen der Bundeswehr wurden damals zumindest für Reservisten kurz vor dem finalen Atom-Schlag beendet. Unserer Übung erging es nicht anders. Aber weil wir beim Territorialkommando Nord in Mönchengladbach so brav mit geübt hatten, wurden wir mit einem Besuch in dieser geheimsten aller geheimen Dienststellen des Bundes „belohnt“. Keiner schrieb darüber, nicht der hoch angesehene Militärexperte der „Welt“ und auch ich nicht als Redakteur beim Blatt mit den größten Schlagzeilen. Wie uns die Zeit doch ein- und überholt hat...

Das Bonner Landesmuseum erlebte in seinem Ausweichquartier, der „Alten Rotation“, ausgerechnet mit Fotografien aus der „Dienststelle Marienthal“ des Aachener Fotografen Andreas Magdanz seine meistbesuchte Ausstellungseröffnung. Für diese Ausstellung hätte es wohl kaum einen geeigneteren Ort als die „Alte Rotation“ geben können.

So viele Superlative der Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland, Winfried Schittges, MdL, Museumsdirektor Professor Günther Zehnder und Andreas Magdanz auch nannten zum „größten Bunker der Welt“ und so eindrucksvoll die Großfotos in der Ausstellung und die Fotos im Katalog vom längst verlassenen, im Wortsinn „aufgegebenen“ Bunker auch sein mögen: Nur wer den Bunker selbst erlebte, die Luft darin gerochen hat, das Gefühl der sich hinter ihm schließenden 40-Tonnen-Tore spürte, ein Mal einen „Bunkerkoller“ beobachtete, wenn er ihn denn nicht selbst überfiel, der kann ermessen, welch physische und psychische Strapazen dieser unterirdische Gigant verursachte.
Die rote Präsidentencouch, auf der im Bundeswehrjargon nur „Bundespräsidenten-Üb“ gesessen haben, und etliche andere, in 30 Jahren selten benutzte Relikte vermitteln den Ausstellungsbesuchern einen Einblick in die Anlage, in der im Ernstfall bis zu 3000 Menschen bis zu 30 Tagen überleben sollten. Der Ernstfall wurde zwar immer wieder geübt, aber nie 30 Tage lang und nie mit 3000 Menschen gleichzeitig.

Nicht einmal der Fotograf Magdanz, der statt ursprünglich zugestandener drei Tage schließlich ungezählte Tage in sieben Monaten im Bunker verbrachte, ist zu beneiden. Noch mehr zu bedauern sich aber selbst im Nachhinein die vielen Zivilisten, die über 30 Jahre lang in Schichten den Bunker funktionsfähig halten mussten - die Militärs wechselten regelmäßig und öfter. Viele von ihnen kamen zur Ausstellungseröffnung. Manche befiel Wehmut, mache des verlorenen Arbeitsplatzes wegen.
Die Zukunft des Bunkers ist ungewiss. Ein archäologisches, weil unter der Erde befindliches Denkmal sollte er werden, fand Professor Zehnder, in gewissermaßen von aseptischer Kühle eingefrorenem Zustand der Weltgeschichte, einzureihen mit Atlantikwall, Westwall und Stadtbunkern, aber unbeschädigt und vor jeder ernsthaften Benutzung bewahrt. „Bei den Dimensionen?“ fragte Winfried Schittges. „Rückbau wäre Frevel“, meinte Andreas Magdanz, der, enttäuscht ob der vieler angeblicher Gedächtnislücken, etlichen Politikern eine „symbolische Absage“ erteilte.

Magdanz´ Fotos sind beeindruckend. Sie zeigen die Kunst, buchstäblich tote Gegenstände so zu fotografieren, dass sie bei intensivem Betrachten Assoziationen hervorrufen, nachdenklich machen, Grauen vermitteln. Menschen begegnet der Betrachter nicht.

Menschen, denen wir damals begegneten, Uniformierte, durften wir bei unserem Besuch unter den Weinbergen von Dernau bei strengster Strafandrohung nicht fotografieren. Meine Leica wurde erst konfisziert, als wir zurück waren in unserem Bw-Üb-Raum in der stillgelegten Tuchfabrik in Rheindahlen. Irgendwie bekam ich sie zurück, aber das ist wahrscheinlich längst verjährt...